
Humanisten in Gefahr: Atals Geschichte
Mir wurde klar, dass der Weg vom gläubigen Muslim zum Atheisten nicht nur eine Rebellion war; es ging mir darum, die Wahrheit zu suchen und mir selbst treu zu bleiben.
Mir wurde klar, dass der Weg vom gläubigen Muslim zum Atheisten nicht nur eine Rebellion war; es ging mir darum, die Wahrheit zu suchen und mir selbst treu zu bleiben.
Im komplexen sozialen Gefüge Afghanistans, in dem Paschtunen und Tadschiken koexistieren, tauchte ich in eine Welt ein, die tief in religiösen Traditionen verwurzelt ist. Der Paschtunenstamm, der vor allem für seine starke Bindung an religiöse und traditionelle Werte bekannt ist, spielte bei der Gestaltung meiner frühen Erfahrungen eine entscheidende Rolle.
Mein Vater, ein islamischer Gelehrter (Mula), und meine Mutter, eine ungebildete Hausfrau, vermittelten mir die Werte unseres paschtunischen Erbes. Inmitten des Kriegschaos stellte sich mein Vater, ein Migrant in Pakistan, eine bessere Zukunft für seine Kinder durch die Beschäftigung mit modernen Wissenschaften vor. Also studierte ich schließlich sowohl islamische als auch moderne Wissenschaften. Es war ein bisschen wie Jonglieren – die eine für mein Leben und eine bessere Zukunft, die andere für meine Gesellschaft und meinen islamischen Glauben. Diese doppelte Ausbildung wurde zu einem heiklen Balanceakt.
2017 begann ich mein Universitätsstudium. Zu diesem Zeitpunkt war ich ein moderner, religiöser Mensch, der fünfmal am Tag inbrünstig betete und jeden Morgen den Koran rezitierte. Diese Leistung schien ein Beweis göttlicher Führung zu sein, und meine Verwandten und die Gesellschaft freuten sich über meinen Erfolg. Sie wussten nicht, dass meine Hingabe über das Beten hinausging; ich verbrachte täglich über 11 Stunden mit meinem Studium. Es war das Engagement für die Bildung, das mir die Türen zur Universität öffnete, nicht nur das Beten.
Diese Fragen beschäftigten mich, aber ich vermied es, den Islam in Frage zu stellen. Bis mein Bruder und ich eines Tages begannen, über diese Dinge zu diskutieren; insgeheim hatte er auch die islamischen Normen in Frage gestellt. Zuerst verteidigte ich den Islam, aber als wir tiefer gruben, erkannte ich, dass er recht hatte. Da wagte ich es, den Islam in Frage zu stellen.
Ich begann, im Internet nachzuforschen und versuchte, die Realität des Islam zu verstehen. Langsam fand ich Antworten darauf, warum Mädchen und Frauen in meiner Gesellschaft ungerecht behandelt wurden. Ich erfuhr, wie religiöse Führer Menschen zu ihrem persönlichen Vorteil manipulierten. Es war nicht einfach, aber nach sechs Monaten blickte ich zurück und sah eine 180-Grad-Wende in meinem Leben.
Ich wurde Atheist, weil ich die Ungerechtigkeit in meiner Gesellschaft erlebte.
Ich habe gesehen, wie Kriegsführer und korrupte Menschen unschuldige Menschen und religiöse Überzeugungen ausnutzen. Wie Religion eine entscheidende Rolle im anhaltenden Krieg in meinem Land spielt. Ich habe immer darüber nachgedacht, warum der Krieg in meinem Land weitergeht und warum die Menschen nicht glauben, dass sie auf dem falschen Weg sind. Ich konnte die Antworten auf diese Fragen jedoch erst finden, als ich Atheist wurde.
Als ich über diese Wandlung nachdachte, wurde mir klar, dass die Reise vom gläubigen Muslim zum Atheisten nicht nur eine Rebellion war; es ging dabei darum, die Wahrheit zu suchen und mir selbst treu zu bleiben.
Seit ich Atheist bin, waren meine Erfahrungen eine Achterbahnfahrt. Eine bemerkenswerte Veränderung hat sich in meiner Einstellung gegenüber Nichtmuslimen vollzogen. In meinen Tagen als frommer Muslim hegte ich grundlose Feindseligkeit ihnen gegenüber, einfach weil sie meinen Glauben nicht teilten. Die islamischen Lehren hatten mir dieses Vorurteil eingeflößt. Jetzt, als Atheist, habe ich diesen unbegründeten Hass abgelegt.
Mir ist bewusst geworden, welche schädlichen Auswirkungen der Islam auf meine Gesellschaft hat. Die Religion wird zu einem Werkzeug für Kriegsführer, um unschuldige Gemüter zu manipulieren und eine von islamischen Gesetzen getriebene Geisteshaltung zu fördern, die Gewalt ausübt. Ich habe beobachtet, dass islamische Normen Mädchen und Frauen in meiner Gesellschaft daran hindern, Bildung und Arbeit zu erlangen. Der Fokus auf Dschihad und Krieg verdrängt andere wesentliche Aspekte des Lebens.
Als Muslim hatte ich das falsche Gefühl, ich hätte das Recht, in das Leben anderer einzugreifen und ihnen meinen Glauben aufzuzwingen. Es war ein falsches Privileg, das mir der Islam zuteil werden ließ. In meinem Land sind Nichtmuslime systematischer Diskriminierung ausgesetzt. Die gesellschaftliche Erzählung diktiert, dass nur Muslime auf dem richtigen Weg sind, und führt zu einer engstirnigen Haltung gegenüber anderen Glaubensrichtungen.
Die islamischen Lehren schüren Feindseligkeit gegenüber jenen, die den Glauben ablehnen. Deshalb wird Geheimhaltung für Atheisten zu einem Überlebensinstinkt. Sogar mein eigener Bruder hat aus Angst vor Repressalien davon Abstand genommen, seinen Atheismus offen zu legen.
Dieses Schweigen hinterließ bei mir ein Gefühl der Isolation, ein Gefühl, das durch den allgegenwärtigen Einfluss des Islam auf jeden Aspekt der Gesellschaft noch verstärkt wurde. Von der Bildung bis zu den Festen diktierten islamische Prinzipien die Normen, was es schwierig machte, anderer Meinung zu sein. Der Kampf war nicht nur intellektuell, sondern auch praktisch; ich musste mich in einer Gesellschaft zurechtfinden, die durch die Linse des Islam gefiltert wurde, während ich Ansichten hegte, die seinen Lehren widersprachen.
Manchmal musste ich eine Scharade spielen und an den Gebeten in der Moschee teilnehmen, um einer Bestrafung und weiterer Isolation zu entgehen. Es war ein heikler Tanz zwischen Selbsterhaltung und Konformität.
Als ich mich mit anderen Atheisten traf, entdeckte ich eine Gemeinschaft von Menschen, die mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen hatten. Viele trauten sich nicht, die in den islamischen Gesetzen verankerte Gesellschaftsstruktur in Frage zu stellen. Meine Versuche, Dialoge zu eröffnen, wie etwa die Organisation von Debatten an der Universität, konzentrierten sich auf die Infragestellung islamischer Normen, die Frauen in Bildung und Berufsleben behindern. Obwohl ich einen respektvollen Ton beibehielt, waren die Konsequenzen schwerwiegend und mein Leben geriet in Gefahr.
Im August 2021 markierte der Zusammenbruch der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan einen schrecklichen Wendepunkt, als die Taliban, eine extrem religiöse Terrorgruppe, die Kontrolle übernahmen. Angesichts der unmittelbaren Bedrohung musste ich meine Stadt verlassen und in der Hauptstadt Kabul Zuflucht suchen. Selbst in diesem neuen Zufluchtsort lauerte die Gefahr, da unbekannte Personen Drohungen aussprachen – wahrscheinlich unter denen, die meine Debatten an der Universität besucht hatten.
In dieser gefährlichen Situation wandte ich mich an Humanists International, um Hilfe zu erhalten. Mir war bewusst, dass die Organisation große Schwierigkeiten hatte, die Bedürftigen zu identifizieren und zu unterstützen. Glücklicherweise konnten sie mir helfen, nachdem meine Identität bestätigt und der Ernst meiner Lage erkannt worden war. Als die Gefahr zunahm, traf ich die schwere Entscheidung, Afghanistan zu verlassen und nach Pakistan zu gehen. Während meiner Krise erkundigte sich Humanists International ständig nach meinem Wohlergehen und half mir, einen sicheren Zufluchtsort zu finden.
Humanists International leistete mehr als nur moralische Unterstützung; sie verfassten Unterstützungsschreiben, in denen sie sich für meine Sicherheit einsetzten und Asylanträge stellten, die ich meinen Bewerbungen für Masterstipendien beifügte. Ihre unerschütterliche Unterstützung spielte eine entscheidende Rolle bei der Sicherung eines Stipendiums für mich. Nachdem ich das Stipendium erhalten hatte und in [ein sicheres fremdes Land] umzog, war Humanists International weiterhin eine tragende Säule. Sie stellten mir Gruppen und Einzelpersonen im Land vor und erleichterten mir so die Erweiterung meines Netzwerks und das Knüpfen neuer Freundschaften.
Humanists International hat in einer kritischen Phase meines Lebens eine entscheidende Rolle bei meiner Unterstützung gespielt.
Die Unterstützung, die ich erhalten habe, erfüllt mich oft mit überwältigender Dankbarkeit. Sie geht über das hinaus, was ich hätte verlangen können, und ich bin aufrichtig dankbar für ihre unermüdliche Hilfe. Die Unterstützungsschreiben, die sie mir gaben, halfen mir, meine Stipendienanträge zu stärken, und ermöglichten mir letztendlich, einen Studienplatz in einem Masterstudiengang in Data Science hier in meinem neuen Land zu bekommen. Dieser Übergang in eine sichere Umgebung hat mir nicht nur Türen für meine akademischen Bestrebungen geöffnet, sondern war für mich auch ein Zufluchtsort während einer turbulenten Zeit in Afghanistan.
Die Veränderung meiner Lebensumstände – vom Kampf gegen die Bedrohungen in Kabul bis hin zur Fortsetzung meiner Ausbildung im Ausland – unterstreicht die tiefgreifende Wirkung der Unterstützung von Humanists International auf mein Leben. Es geht nicht nur um materielle Hilfe; es geht um die Stärkung und das Gefühl der Sicherheit, die sie mir verliehen haben und die eine Grundlage für eine bessere Zukunft bilden.
Nachdem ich hier angekommen war und ein Stipendium bekommen hatte, wurden meine Hoffnungen für die Zukunft neu belebt.
Ich stelle mir eine bessere Zukunft vor, in der ich aktiv zu positiven Veränderungen beitragen kann. In dieser sicheren Umgebung strebe ich danach, ein Katalysator für die Förderung von Atheismus und Humanismus in meiner Gesellschaft zu sein. Mein Weg, der von Herausforderungen und transformierenden Erfahrungen geprägt war, bestärkt mich in meiner Entschlossenheit, einen bedeutsamen Einfluss auszuüben und für die Prinzipien einzutreten, an die ich glaube. Die Unterstützung, die ich erhalten habe, hat mir nicht nur Sicherheit geboten, sondern mir auch ein Gefühl der Zielstrebigkeit für die Zukunft vermittelt.
Dank unserer Mitglieder und Unterstützer kann Humanists International einen Sozialarbeiter beschäftigen, der Menschen wie Atal unterstützt. Ohne die Hilfe der weltweiten humanistischen Gemeinschaft wäre es jedoch nicht möglich, diesen Dienst weiter anzubieten. Jeden Monat erhalten wir durchschnittlich 17 Hilfeanfragen. Bitte zeigen Sie Ihre Solidarität und Unterstützung mit einer Spende, um heute einen Humanisten wie Atal zu unterstützen.
Wenn Sie glauben, dass jeder Humanist das Recht auf ein Leben ohne Verfolgung haben sollte, zeigen Sie Ihre Solidarität und Unterstützung bitte noch heute mit einer Spende. Mit Ihrer Unterstützung können wir in den kommenden Wochen und Monaten weiterhin so vielen Menschen wie möglich helfen.
Gut zu wissen...
Humanists International ist eine internationale NGO, die 1952 gegründet wurde und eine Erfolgsgeschichte bei der Unterstützung von Menschen vorzuweisen hat, die von religiöser Verfolgung bedroht sind. Das durch diesen Aufruf gesammelte Geld wird zur Unterstützung von Humanisten in Gefahr verwendet, einschließlich der damit verbundenen Kampagnen-, Unterstützungs- und Rechtskosten. Humanists International 2020 ist eine schottische (britische) Wohltätigkeitsorganisation mit der Nr. SC050629. Wenn Sie lieber per Banküberweisung oder auf andere Weise spenden möchten, senden Sie bitte eine E-Mail [E-Mail geschützt]
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